André Voigt

Fußball-Fan lehnte sich gegen Rassisten auf: „Die Wucht des rechten Mobs war beängstigend“

Beim letzten Länderspiel in Wolfsburg wurde André Voigt auf der Tribüne Zeuge rassistischer Beschimpfungen gegen deutsche Nationalspieler. Und erhob seine Stimme. Dafür erntete er im Netz viel Hass und Drohungen. Jetzt, im November 2021, ist das DFB-Team wieder zu Gast in Wolfsburg. Hier schreibt der Journalist, wie sich sein Leben sei dem Vorfall verändert hat.

Der 21. März 2019 wird mir für immer in Erinnerung bleiben. Es war der Tag nach dem Fußball-Länderspiel Deutschland gegen Serbien. Das erst zweite überhaupt in Wolfsburg, meiner Heimatstadt, in die ich wenige Jahre zuvor nach fast 20 Jahren in Köln und Frankfurt mit meiner Familie zurückgezogen war.

Es sollte ein Familien-Event werden, ein Weihnachtsgeschenk an meine Eltern. Für sie, meine Frau, unsere Tochter – für alle sollte es das erste Länderspiel live im Stadion sein. Es wurde mittags vorgeschlafen, die an jeden Zuschauer ausgehändigten Schals in der Arena angelegt.

Was an dem Abend geschah, dürfte den allermeisten bekannt sein.

Hinter uns regten sich drei Männer nach einigen Minuten Spielzeit über die fade Darbietung der DFB-Elf lautstark auf. Zurecht. Von Arbeit, Fußball, Leidenschaft, um einmal die Markenwerte des ansonsten in der Volkswagen Arena spielenden VfL Wolfsburg aufzugreifen, war wenig zu sehen. Aus 0815-Tribünenkritik wurde aber bald mehr. Für Leroy Sané nutzten sie das „N-Wort“, Ilkay Gündogan nannten sie nur „der Türke“. Umso mehr das Spiel verflachte, desto krasser wurden die rassistischen Ausfälle der Drei, die direkt hinter meiner Frau, unserer Tochter und mir saßen.

Ich sprach sie an. Ob sie diesen rassistischen Dreck nicht lassen könnten. In der Hoffnung, dass ein paar Worte den Rest des Blocks dazu motivieren würden, miteinzustimmen und dem Trio zu zeigen, dass ihre Pöbeleien hier nicht geduldet werden würden. Falscher hätte ich dabei nicht liegen können…

Angespornt durch meinen Widerspruch, und wohl auch die ausbleibende Unterstützung der anderen Anwesenden, ging es in der Folge erst richtig los. Hitlergruß, hämische Lieder über ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer, „du hättest es wohl gern, wenn deine Tochter von so einem vergewaltigt wird“ – all das grölten die Drei frei heraus. Und niemanden störte das.

Ich sah meine Eltern an, meinen damals 84-jährigen Vater, der selbst nach Ende des Zweiten Weltkriegs geflohen war. Ich schaute zu meiner Frau, auf deren Schoß unsere damals zweijährige Tochter schlief. Ich sah in die Gesichter der „Fans“ um uns herum, von den sich nicht ein einziger genötigt fühlte, auch nur irgendetwas zu sagen.

Es war dieses Gefühl der Ohnmacht, das mich fertig machte, vor diesen Rassisten zu sitzen, inmitten von Hunderten von Menschen, die alle im sonst stillen Block über 45 Minuten jedes Wort hörten und trotzdem nichts sagten.

Im Stau zurück nach Hause stieg die Wut in mir weiter und weiter. Wie konnte das sein, dass sich niemand verbal auf meine Seite geschlagen hatte? Meine Frau brachte meine Tochter ins Bett und schlief mit ihr ein. Ich saß in meinem Büro und wusste nicht wohin mit mir. Warum hatte niemand etwas gesagt?

Im Affekt begann ich ein Live-Video auf meiner Facebook-Seite zu streamen. Ich wollte den Sportfans, die mir folgen, einfach beschreiben, was passiert war und ihnen mit auf den Weg geben, dass sie – wenn sie Zeuge einer solchen Situation werden – etwas sagen müssen. Dass wir nur zusammen diesen Rassismus bekämpfen können, indem wir es unbequem für die machen, die solches Gedankengut öffentlich äußern. Es wurde emotional, zu emotional.

Am nächsten Morgen war die Welt unserer Familie aus den Fugen geraten. Alle großen Medien berichteten über das Video und den Vorfall. Der DFB wollte mit mir sprechen, genau wie die Polizei.

Wüste Beschimpfungen fluteten mein E-Mail-Postfach. Es kamen Morddrohungen aus dem Darknet, rechte Blogger arbeiteten sich an mir ab, in Kommentarspalten wurde meiner Familie der Tod gewünscht.

Ein besonders ekelhafter Auswuchs war diese eine Mail, in der mir gedroht wurde, in verschiedenen Sprachen Flugblätter in Flüchtlingsheimen in und um Wolfsburg zu verteilen. Auf ihnen würde dann stehen, dass unter meiner Adresse nur Frauen leben würden, die mit jedem Sex haben würden und dass sich jeder nehmen könne, was er wolle.

Ich sagte bei der Polizei aus, mir wurde nahegelegt unterzutauchen oder zumindest „einmal mehr aus dem Fenster zu schauen“. Ich bestellte zwei Baseballschläger, von denen einer immer noch neben der Haustür steht. Meine Frau schickte ich für ein paar Tage zu den Schwiegereltern.

Auf jede Hassmail kamen jedoch zwanzig, deren Absender sich auf meine Seite stellten. Menschen mit Migrationshintergrund berichteten mir, wie viel ihnen die Aktion bedeutete. Sie schilderten mir Situationen, wie sie öffentlich beleidigt wurden und niemand auch nur ein Wort gesagt hatte, um ihnen zu helfen. „Was Sie getan haben, hat mir den Glauben zurückgegeben, dass es gut werden kann“, schrieb mir eine Frau, die in Vietnam geboren wurde.

So fulminant die Welle des Hasses aber auch war, so schnell ebbte sie ab. Die Frage, was ich anders hätte machen können, beschäftigt mich aber bis heute.

Ich würde in einer solchen Situation immer wieder aufstehen und etwas sagen. Wahrscheinlich würde ich aber einen Ordner dazurufen. Diese klare Kante muss gezeigt werden, da darf es keine Alternative geben.

Vor allem in Stadien, aber auch überall sonst, müssen Menschen, die sich öffentlich rassistisch äußern, zurechtgewiesen und aus ihrer Komfortzone gerissen werden. Sie müssen merken, dass sie keine schweigende Mehrheit hinter sich haben. Und die Beleidigten müssen sehen, dass sie nicht allein sind.

Die Fans, aber auch Verbände und Vereine sind hier in der Pflicht. Vom Platz zu gehen, wenn es rassistische Ausfälle gibt, muss die normale Reaktion sein, nicht die Ausnahme. 

Was mein Video angeht, bin ich mir nicht sicher. Es hat damals eine Diskussion angestoßen, die geführt werden musste und muss. Es hat vielen Menschen etwas bedeutet. Es hat dem Thema eine Reichweite gegeben, die wichtig war und ist.

Gleichzeitig hat es bei mir bis heute Spuren hinterlassen. Am eigenen Leib die Wucht zu erleben, mit der ein rechter Mob über Andersdenkende herfällt, war beängstigend. Mein Respekt für Menschen, die konstant im Fadenkreuz dieser Internettrolle stehen, ist unendlich gewachsen.

Wahrscheinlich würde ich das Video heute nicht mehr aufnehmen. Aber aufstehen werde ich immer - und das sollten wir alle. Das sind wir uns allen schuldig.

Über den Autor: Der gebürtige Wolfsburger André Voigt (48) ist großer Fußball-Fan und Anhänger des VfL Wolfsburg. Als Journalist war er 18 Jahre Chefredakteur des Basketball-Magazins Five, ist aktuell u.a. NBA-Kommentator beim Streamingdienst DAZN und betreibt den Podcast „Got Nexxt“.

Luc de Witte im Porträt

Luc versorgt Bedürftige mit Fritten

Der Frittenbuden-Besitzer Luc De Witte versorgt Bedürftige einmal pro Woche mit einer kostenlosen Mahlzeit. Das hat sich während der Corona-Pandemie nicht geändert. Für seinen Einsatz wurde er in den #Heldenkader gewählt.

Fußball, Schwarz-Weiß

Meine erste Liebe

Fußball und Valentinstag passen nicht zusammen? Wir überzeugen euch vom Gegenteil. Lucas Vogelsang über seine erste große Liebe.

Eine Ode an den Frauenfußball

Eine Ode an den Frauenfußball

ARD-Kommentator Bernd Schmelzer begleitet den Frauenfußball seit mehr als 25 Jahren. Warum er ihn so liebt, erzählt er hier.

Berlin Fanmeile Sommermärchen 2006

Der schönste Sommer

Public Viewing, Fähnchen an den Autos, ein neues Maß an Begeisterung für die Nationalmannschaft: Das „Sommermärchen“ 2006 hat verändert, wie die Deutschen zum Fußball stehen. Ein Interview mit dem Kulturwissenschaftler Timm Beichelt über eine besondere Zeit und wie sie bis heute nachwirkt.