Horst Köppel

BVB-Pokaltrainer Köppel: „Champagner konnten wir uns nicht leisten“

BVB-Pokaltrainer Köppel: „Champagner konnten wir uns nicht leisten“

1995 und 1996 wurde Borussia Dortmund Deutscher Meister, 1997 Champions-League-Sieger. Die Reise dahin begann aber viel früher. Viele sehen im Pokalsieg 1989 den Ursprung der erfolgreichsten Ära der Dortmunder Vereinsgeschichte. Nur zwei Jahre vorher stand der Klub vor dem Abgrund, finanziell und sportlich. In der Relegation wurde der Abstieg gerade noch verhindert. Zu Beginn der Saison 1988/89 übernahm Horst Köppel das Traineramt und gewann am Saisonende nach 23 langen Jahren ohne Titel sensationell den DFB-Pokal.

Im Finale gegen favorisierte Bremer wurde der heutige Stadionsprecher Norbert Dickel mit zwei Toren zum Helden. Im Interview erinnert sich Trainer Köppel an Training im FKK-Freibad, seine schlaflose Nacht vor dem Finale und warum Thomas Helmer und Andy Möller sich eigentlich gar nicht mochten.

Herr Köppel, bevor es 1989 zum Finale nach Berlin ging, haben Sie mit Ihrer Mannschaft in Dortmund in einem FKK-Bereich im Freibad trainiert. Wie kam es dazu?

Bei uns am Stadion Rote Erde wurde der Trainingsplatz erneuert, da mussten wir dann ausweichen. Das Freibad war um die Ecke und hatte zumindest eine grüne Wiese. Ein richtiges Spiel auf Tore war aber gar nicht möglich. Wir haben mal eins kommen lassen, das hat den Betreibern dann aber auch nicht gefallen. Zum Glück war zu der Zeit nicht so viel los im Freibad, sodass die Jungs nicht von zu viel Nacktheit abgelenkt wurden. (lacht)

Das Finale fand schon damals in Berlin statt, seinerzeit noch eine geteilte Stadt. Wenige Monate später fiel die Mauer. Wie haben Sie das erlebt?

Wir sind mit dem Flugzeug angereist und waren dann in der Sportschule Wannsee untergebracht. Wir hatten aber keine Zeit, uns großartig etwas anzugucken. Mich und auch die Spieler hat das an dem Wochenende auch nicht wirklich interessiert, wir wollten uns voll aufs das Finale konzentrieren.

In der Nacht vor dem Spiel haben Sie kaum geschlafen, weil ihr Torjäger Norbert Dickel nach einer Knie-OP wochenlang ausgefallen war. Wie fit war er wirklich?

Das war eine ganz schwierige Entscheidung und im Nachhinein auch eine sehr glückliche. Er hat kaum trainieren können, selbst einen Tag vor dem Finale hatte ich das Gefühl, dass er nicht richtig fit ist.

Sie wollten eigentlich defensiver, also ohne Dickel beginnen.

Ehrlich gesagt habe ich ihm 90 Minuten nicht zugetraut und er sich wahrscheinlich auch nicht. Am Abend vorher saß ich mit Präsident Gerd Niebaum und Kapitän Michael Zorc zusammen, wir haben lange diskutiert. Am Ende musste ich aber eine Entscheidung treffen.

Selbst 45 Minuten vor dem Anpfiff standen nur zehn Dortmunder auf dem Spielberichtsbogen. Warum haben Sie so lange gewartet?

Ich wollte sehen, wie er sich beim Warmlaufen bewegt. Er ist auch unrund gelaufen. Die Bremer haben sich wahrscheinlich gedacht: ‚Soll der Dickel doch spielen.‘ 30 Minuten vor Anpfiff stand Nobby dann endgültig in der Aufstellung.

Und wurde mit seinen beiden Toren zum Pokalhelden. Hinterher sagten viele: Genialer Schachzug von Köppel, den Dickel zu bringen. Nehmen Sie die Blumen an?

Naja, genial war es nicht, sonst hätte ich mir nicht so viele Gedanken gemacht. Wäre das schiefgegangen, würden wir über 30 Jahre später nicht immer noch davon sprechen.

Berlin wurde an dem Wochenende von Dortmundern geradezu überflutet. Hat Ihnen das einen Extra-Push gegeben?

Die ganze Stadt war schwarz-gelb. Es hat sich angefühlt wie ein Heimspiel, ein unbeschreibliches Gefühl fast 500 Kilometer von der Heimat entfernt.

Der 24. Juni 1989 war ein warmer Sommertag in Berlin, im Stadion waren über 40.000 BVB-Fans und schwenkten überall aufblasbare Plastikbananen, die ein Sponsor vor dem Stadion verteilte. Wie haben Sie die gelbe Wand in Berlin erlebt?

Das haben selbst wir nicht erwartet. Die Unterstützung war überragend. So ein Auswärtsspiel habe ich danach nie wieder erlebt. Ich frage mich bis heute, wie unsere Fans überhaupt alle an ihre Karten gekommen sind.

Auch beim Outfit hatte sich der BVB etwas einfallen lassen: Das Team spielte in speziellen Ringelsocken, die an die Dortmunder Meisterhelden von 1956 erinnern sollten. Hatte das auch für Sie eine besondere Bedeutung?

Die Aktion fand ich toll. Ich achte schon sehr auf Tradition und die Mannschaft von 1956 kannte ich auswendig. Dabei war das mit den Ringelsocken gar nicht so einfach. Unser Ausrüster Adidas hatte in der Saison gelbe Stutzen mit drei kleinen schwarzen Streifen für uns – an das Firmenlogo angelehnt. Am Ende haben sie uns aber zum Glück auch mit ein paar mehr Streifen spielen lassen. (lacht)

Hauptsache schwarz-gelb, oder?

Beim Kicktippspielen als Kind hatten die Figuren nur die Farben Schwarz-Gelb und Rot-Weiß. Also entweder war ich Dortmund oder Stuttgart – neben Mönchengladbach meine Klubs in Deutschland. Dazu kam, dass mein erster Verein als Kind, die SpVgg Neuwirtshaus, auch schwarz-gelbe Farben hatte. So schloss sich der Kreis.

Mit den besonderen Ringelsocken lief es dann aber erst gar nicht so rund. Bremen ging früh in Führung.

Vor dem Spiel haben fast alle Bremen als haushohen Favoriten gesehen. Aber nach dem 1:1 zur Halbzeit habe ich einfach versucht, die Mannschaft in der Pause starkzureden und ihr den Glauben zu vermitteln, dass hier was geht.

Wann haben Sie selber im Spiel gemerkt, dass Sie den Pott holen können?

Nach dem 2:1 durch Frank Mill. Danach war die Mannschaft gar nicht mehr zu halten und hat an sich selber geglaubt. Ich selber war aber sogar nach dem 4:1 noch nicht hundertprozentig sicher. Ich bin während des Spiels immer eher pessimistisch gewesen. Erst fünf Minuten vor Schluss konnte ich langsam anfangen, mich zu freuen.

Was ging nach dem Spiel in der Kabine ab?

Ich glaube, die Jungs konnten es selber gar nicht richtig fassen. In der Kabine standen dann schon ziemlich viele Getränke bereit. Ich weiß nicht, wer es organisiert hat, aber das muss ein großer Optimist gewesen sein. Und bei einer Niederlage hätten wir uns eben aus Frust betrunken. (lacht) Wir konnten aber so spontan nicht wirklich etwas organisieren, statt Musik wurde selbst gesungen. Und kalter Sekt stand bereit – aber kein Champagner, das konnten wir uns damals noch nicht leisten.

Wie ging es danach weiter?

Wir sind zurück ins Hotel, da ging es dann hoch her. Nobby Dickel hat da schon für Stimmung gesorgt. Wir mussten aber am nächsten Morgen ganz früh zurück nach Dortmund fliegen. Der ein oder andere war, glaube ich, gar nicht im Bett.

Und Sie?

Also bis drei Uhr war ich schon mit dabei, richtig betrunken war ich zwar nicht, aber Auto fahren hätte ich auch nicht mehr gedurft. (lacht)

Bei der Rückkehr herrschte in Dortmund dann Ausnahmezustand.

Das war einfach unglaublich. Wir haben allein zwei Stunden vom Flughafen in die Stadt gebraucht, wo es ja eigentlich erst richtig losgehen sollte. Ich habe als Meister mit Mönchengladbach schon einiges erlebt, aber das hat es noch mal übertroffen. Die ganze Stadt war auf den Beinen. Auch auf dem Rathausbalkon kam praktisch keiner zu Wort, weil die Fans so laut gesungen und gejubelt haben.

Lassen Sie uns über Ihr Team sprechen. Wer war damals der Chef in der Mannschaft?

Frank Mill war schon einer der Bosse. Und Michael Zorc habe ich vor der Saison zum Kapitän gemacht. Er war damals noch recht jung und noch gar nicht der Anführertyp, wie man ihn heute kennt. Er war aber ein richtiger Borusse und hat sich in der Saison zu dem entwickelt, was ich erhofft hatte. Zwar war er relativ ruhig, aber auf dem Feld ist er immer vorangegangen und war ein Vorbild.

Mit wem kamen Sie besonders gut klar?

Teddy de Beer hat sich im Tor unheimlich entwickelt. Dabei war er immer etwas umstritten. Aber ich hatte großes Vertrauen in ihn. Auch Thomas Helmer hat sich im Laufe der Saison zum Führungsspieler gemausert.

Und mit wem sind Sie auch mal aneinandergeraten?

Frank Mill war schon ein eigenwilliger Spieler, mit dem ich die eine oder andere Meinungsverschiedenheit hatte. Er war ja auch Kapitän und ich habe ihn dann vor der Saison entmachtet. Da war er natürlich beleidigt und wenn ihm etwas nicht gepasst hat, war er schon mal stur. Aber letztendlich haben wir uns zusammengerauft und auch ganz gut verstanden.

Thomas Helmer und Andreas Möller standen 1989 noch am Anfang ihrer Laufbahn. War damals schon abzusehen, dass beide so große Karrieren hinlegen würden?

Im Prinzip schon. Aber eigentlich mochten sich die beiden nicht so richtig.

Warum das?

Thomas war darauf bedacht, dass wir hinten sicher stehen. Und Andy war einer, der in der Offensive in Deutschland einmalig war. Der konnte schon richtig Fußball spielen. Nur defensiv hat ihn das nicht richtig interessiert. Und da hat es mit dem Thomas dann schon mal gerappelt, weil der in der Abwehr ausbügeln musste.

Was denken Sie eigentlich, wenn Sie Norbert Dickel heute als Stadionsprecher und beim BVB-Radio am Mikro so richtig ausrasten sehen? War er damals schon so?

Er war zwar nicht ruhig, aber auch kein Lautsprecher. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, der wird mal Stadionsprecher, hätte ich das nicht geglaubt. Da hat er sich schon entwickelt beim BVB – und er macht das ja auch super.

Der Pokalsieg hat ihn aber praktisch seine Karriere gekostet, wenige Monate später musste Dickel aufhören. Der einzige Wermutstropfen?

Ja, natürlich. Da haben wir erst gesehen, wie schwer er wirklich verletzt war, das wussten wir vor dem Finale gar nicht. Ich musste mir danach auch Vorwürfe anhören, dass er noch länger hätte spielen können, wenn ich ihn im Finale nicht aufgestellt hätte.

Durch das Finale wurde er aber auch zum Helden und zu der Kultfigur, die er heute ist.

Sicher. Ich denke, ohne das Finale hätte er den Job heute vielleicht gar nicht. Man darf nicht vergessen: Nobby war kein Supertechniker und bei den Fans nicht wirklich beliebt. Zur Legende wurde er erst durch das Finale. Wir sind beide ein Risiko eingegangen und hatten am Ende Glück, dass es funktioniert hat.

Wie bedeutend war der Pokalsieg für die Region nach 23 Jahren ohne Titel?

Das hat man auf den Straßen in Dortmund gesehen, das war ein Befreiungsschlag. Zwei Jahre vorher war der BVB finanziell ziemlich am Ende, stand in der Relegation und wäre fast abgestiegen. Nach dem Pokalsieg hatte der Klub dann einen ganz neuen Stellenwert.

Viele sehen den Triumph 1989 als den Startpunkt für den BVB wie wir ihn heute kennen. Es folgten erfolgreiche Jahre mit Meistertiteln und dem Champions-League-Sieg 1997. Wie sehen Sie das?

Ich bin schon ein wenig stolz darauf, dass wir damals einen Grundstein gelegt haben. Das Team um Ottmar Hitzfeld hat danach einfach hervorragende Arbeit geleistet.

Waren Sie enttäuscht, dass Sie nach drei Jahren den Weg nicht weitergehen durften?

Ich hatte am Ende das Gefühl, dass ich aus der Mannschaft nicht mehr rauskriege. Dann haben wir uns 1991 am Saisonende hingesetzt und gesagt: Wir trennen uns in Freundschaft. Und dann habe ich dem BVB ja auch noch meinen Nachfolger empfohlen.

Sie haben Ottmar Hitzfeld nach Dortmund vermittelt?

Ich habe mit Ottmar noch zusammengespielt und kannte ihn. Aber durch seine Arbeit in der Schweiz war er in Deutschland nicht so im Fokus. Er war damals kein bekannter Trainer. Und dann habe ich dem BVB geraten, sich mal mit ihm zu unterhalten. Zum Glück haben sie auf mich gehört. (lacht)

Würden Sie rückblickend sagen, der Pokalsieg war der größte Triumph Ihrer Trainerkarriere?

Vizeweltmeister mit der Nationalmannschaft 1986 war auch nicht so schlecht, aber da war ich nur Co-Trainer von Franz Beckenbauer. Und der Klassenerhalt mit Gladbach 2005 bleibt auch im Gedächtnis. Aber klar, der Pokalsieg überstrahlt alles. Wobei ich mich an ein Turnier besonders gerne erinnere.

An welches denn?

1985 wurde ich als Trainer mit der U16 Vizeweltmeister, ein Team mit Spielern wie Marcel Witeczek, Detlev Dammeier und Martin Schneider. Die WM fand in China statt, im Finale spielten wir im Arbeiterstadion von Peking vor 80.000 Zuschauern. Bei einem U16-Turnier. Das muss man sich mal vorstellen. Leider verloren wir mit 0:2 gegen Nigeria, trotzdem ein toller Erfolg, den hierzulande kaum jemand mitbekommen hat.

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