Künstlicher Sound für Elektroautos: Lauter per Gesetz
Zunächst nahezu geräuschlos unterwegs, müssen Elektroautos inzwischen nach EU-Vorgabe ein künstliches Geräusch erzeugen. Wir erklären, was in der Verordnung steht und wie die Hersteller kreativ werden, um E-Autos akustisch von der Konkurrenz abzuheben. (Bild: Adobe Stock)
Zunächst nahezu geräuschlos unterwegs, müssen Elektroautos inzwischen nach EU-Vorgabe ein künstliches Geräusch erzeugen. Wir erklären, was in der Verordnung steht und wie die Hersteller kreativ werden, um E-Autos akustisch von der Konkurrenz abzuheben. (Bild: Adobe Stock)
Der künstliche Sound für Elektroautos …
- … ist seit 1. Juli 2021 für alle Neuzulassungen Pflicht.
- … muss zwischen 56 und 75 Dezibel liegen.
- … muss dem eines vergleichbaren Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor ähneln.
Elektroautos sollen helfen, den CO2-Ausstoß des Verkehrssektors zu verringern und die Dekarbonisierung voranzutreiben. Aber nicht nur das. Dank E‑Mobilität könnte auch der Lärm der Verbrennungsmotoren von den Straßen verschwinden. Die Fortbewegung im Flüstermodus gehört zu den großen Vorzügen der Elektrofahrzeuge. Oder besser: gehörte. Denn inzwischen sind künstliche Geräusche beim An- und Rückwärtsfahren für alle neu zugelassenen Elektroautos gesetzlich vorgeschrieben. Eine vertane Chance, die Geräuschkulisse im Straßenverkehr zu verringern, bemängeln Kritiker. Für Befürworter steht das Plus an Sicherheit im Vordergrund: Kindern, Radfahrerinnen und Radfahrern oder Menschen mit Sehbehinderung helfe die akustische Unterstützung, Unfälle mit E-Autos zu vermeiden.
AVAS warnt hörbar vor herannahenden Elektroautos
Hier kommt das Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS) ins Spiel. Dieses System soll durch einen künstlich erzeugten Ton vor geräuscharmen Fahrzeugen – wie zum Beispiel Elektroautos – warnen. Eine entsprechende Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates datiert bereits von Mitte April 2014. In der Folge wurde sie mehrfach angepasst.
In der EU-Verordnung 540 ist in Artikel 8 zu lesen: „Bis spätestens 1. Juli 2019 bauen die Hersteller in neuen Typen von Hybridelektro- und reinen Elektrofahrzeugen ein AVAS ein, das die Anforderungen des Anhangs VIII erfüllt. Bis spätestens 1. Juli 2021 bauen die Hersteller in allen neuen Hybridelektro- und reinen Elektrofahrzeugen ein AVAS ein.“
Ältere Elektroautos: Nachrüsten möglich, aber nicht verpflichtend
Was bedeutet das konkret? Bereits seit 2019 besteht die AVAS-Pflicht für alle neu homologierten Autotypen, also alle völlig neuen Baureihen von E-Autos. Zum 1. Juli 2021 ist die zweite Stufe der Verordnung in Kraft getreten. Seitdem müssen alle Elektroautos, die neu zugelassen werden, ein gut hörbares Geräusch beim An- oder Rückwärtsfahren erzeugen. Das gilt auch für Hybride mit der Option eines rein elektrischen Betriebs. Eine Nachrüstpflicht für ältere Elektrofahrzeuge besteht nicht, wohl aber die Möglichkeit.
Das AVAS-Geräusch eines E-Autos muss zwischen dem Anfahren und einer Geschwindigkeit von 20 km/h stetig lauter werden, ähnlich einem Verbrennungsmotor. Anschließend darf es wieder abklingen. Dann nämlich ist das Abrollgeräusch der Reifen ausreichend, um andere Verkehrsteilnehmende auf das herannahende Elektroauto aufmerksam zu machen. Zudem muss der Elektro-Sound eindeutig dem Verhalten des elektrisch betriebenen Fahrzeugs zuzuordnen sein – etwa der Beschleunigung oder dem Abbremsen.
Beim Rückwärtsfahren müssen Elektrofahrzeuge ebenfalls ein Geräusch von sich geben. Das muss durchgehend sein und nicht etwa unterbrochen, wie es beispielsweise bei einem Lkw der Fall ist.
Lautstärke zwischen Kühlschrank und Waschmaschine
Von der Lautstärke her bewegt sich das AVAS eines Elektroautos zwischen 56 und 75 Dezibel. Zum Vergleich: Die untere Grenze entspricht in etwa der Lautstärke, mit der ein Kühlschrank in der Küche brummt. Die obere Grenze kennt man vom Schleudergang einer Waschmaschine. Geregelt ist zudem, innerhalb welcher Frequenzbereiche sich der elektrisch erzeugte Ton eines E-Autos bewegen muss, damit er auch von älteren Menschen wahrgenommen werden kann.
Der Ton muss mit dem Neustart des E-Fahrzeugs aktiviert werden. Zunächst war ein Schalter im Elektroauto für die Aktivierung und Deaktivierung vorgesehen. Das hat die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) allerdings wieder gekippt.
Sound von Elektroautos: Keine Musik, keine Natur, kein Achtzylinder
Wer nun glaubt, man könne seinem E‑Auto eine individuelle Note verpassen, indem man das AVAS den jeweiligen Lieblingssong schmettern lässt, wird enttäuscht. Musikstücke sind ebenso wenig erlaubt wie Naturklänge oder abstrakte Geräusche. Auch ein satter V8-Sound bleibt den Elektrofahrzeugen verwehrt. Der Ton des Elektroautos muss nämlich ähnlich wie ein Auto gleicher Bauart klingen, das mit Verbrennungsmotor fährt.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht einen gewissen Spielraum für Hersteller von Elektroautos gibt. Die exakte AVAS-Gestaltung ist schließlich nicht gesetzlich vorgegeben. Das eröffnet Autobauern die Möglichkeit, ihre elektrisch angetriebenen Modelle akustisch deutlich von der Konkurrenz abzuheben. Durch das Übereinanderlegen verschiedener Tonspuren ergeben sich dabei innovative Klänge. Manche E-Autos erinnern beim Start entfernt an abhebende Raumschiffe aus Science-Fiction-Serien. Andere Elektrofahrzeuge behalten die raue Klangfarbe bekannter Autos mit Verbrennungsmotor bei.
Prominente Unterstützung beim Geräusch-Design
Im Bereich der Sound-Gestaltung von E-Autos zählt Volkswagen zu den Pionieren. Als einer der ersten entwickelte der Hersteller einen Klang, der sich innerhalb der EU-Vorgaben bewegt, mit seiner futuristischen Anmutung aber der elektrischen Fortbewegung gerecht wird. Fürs Sounddesign arbeitete man mit Leslie Mandoki zusammen. Der Komponist verhalf schon der Band Dschingis Khan zu Ruhm, nun war er an der Gestaltung des charakteristischen Sounds des ID.3 beteiligt.
Auch andere Hersteller von Elektroautos setzen beim Sounddesign auf prominente Unterstützung. So waren schon die US-Rocker von Linkin Park oder Filmkomponist Hans Zimmer mit Autobauern im Studio.
Trotz AVAS: Elektroautos leiser als Verbrenner
Für Hersteller elektrisch betriebener Fahrzeuge bietet AVAS also Raum für Kreativität. Das führt letztlich zwar zu einem höheren Geräuschpegel im Straßenverkehr, als mit Elektromobilität eigentlich nötig wäre, und dennoch: Leiser als Autos mit Verbrennungsmotor sind Elektrofahrzeuge nach wie vor. Diesel und Benziner kommen durch Motoren- und Abrollgeräusche im Durchschnitt nämlich auf 70 bis 90 Dezibel. Selbst mit EU-Vorgabe sind Elektroautos leise genug, um den Lärm auf den Straßen zu reduzieren – aber laut genug, um Fußgängerinnen und Fußgänger oder Radfahrende zu warnen.