Valentinstag

Meine erste Liebe

Meine erste Liebe

Meine erste Liebe hieß Andreas und Sixten, Axel und Ante. Sie hieß Jürgen und Bernd. Später dann Yildiray, Paule und Andy. Sie stammte aus Island, Brandenburg, dem Iran. Sie kam aus Stuttgart, Holland und der Türkei. Aber sie war, wie ich, in Berlin zuhause. Tief im Westen, unter den olympischen Ringen, am Marathontor. Eine Nachbarin auch, eine alte Dame schon immer. Und, so stand es in den Zeitungen, ein schlafender Riese vor allem.

Ich ließ mich wach küssen, damals.

Wir hatten uns an einem grauen Nachmittag kennen gelernt, zweite Liga im Westend. Auf den Rängen außer Flüchen nicht viel, 20.000 Zuschauer vielleicht. Unentschieden gegen Waldhof Mannheim, ein Punkt nur, keine große Sache eigentlich. Aber die Mannschaft, die von nun an meine sein sollte, war zurückgekommen, großer Kampf nach frühem Rückstand. Und ich hatte dort im Stadion, zugig noch und kalt, mein Herz verloren. Das erste Mal wirklich dabei. Der Rasen ganz nah, die Spieler in echt. Das habe ich bis heute nicht vergessen.

Meine erste Liebe hieß Christian, Andreas und Oliver.

Wenig später, an einem schon euphorischen Samstag, habe ich sie auch meinem Vater vorgestellt. Da, um den Hals einen Schal als wäre es Schmuck, saßen wir im Olympiastadion. Unten die Mannschaft, auf den Rängen Gesang. Mein Verein, die Farben erzählten davon.

Dann stiegen wir gemeinsam auf. Feuerwerk über dem Maifeld. Wir tanzten zu Zander, wir waren Helden für eine Nacht unter Sternen. Und im Sommer kam Dortmund, Weltpokalsieger. Wieder ein Unentschieden, das nach Meisterschaft schmeckte.

Meine erste Liebe hieß Sergej und Ante.

So liefen wir Hand in Hand durch die Liga, hielten die Klasse.

Wir waren, so fühlt es sich heute noch an, unbesiegbar in diesen ersten Jahren.
Wir schlugen die Bayern, wir ließen Hansa keine Chance.

Meine erste Liebe hieß Michael, sie hieß Gabor, sie trug Jogginghosen zum Silberblick.
Ich konnte nicht widerstehen.

Dann packten wir unsere Taschen und fuhren durch Europa. Prag, London, Barcelona, drückten uns die Nasen platt am Plexiglas der anderen. Hatten auch dort keine Angst, wussten schließlich genau, dass wir uns aufeinander verlassen können. Und nach Hause, auch klar, gingen wir nicht.

Wir schlugen Mailand, wir ließen Chelsea keine Chance.
Meine erste Liebe hieß Dariusz, sie hieß Ali und René.

So standen wir gemeinsam im Nebel, die Hand nicht vor den Augen. So saßen wir in der Waldbühne, das erste Abenteuer auf der ganz großen Leinwand, eine türkische Nacht. Wieder Frank Zander, als wäre er Mick Jagger.

Dann lagen wir uns singend in den Armen. Und schworen uns ewige Treue. Obwohl, oder gerade, weil wir da bereits wussten, dass es nicht ewig so weiter gehen konnte.

Ich verliebte mich in den Fußball, hat der große Zweikampfromantiker Nick Hornby in seinem Buch Fever Pitch geschrieben, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden.

Die Liebe zum Verein ist eine Liebe, die viel zu früh beginnt und dann, man kann da wenig machen, den Rest des Lebens bestimmt. Man wird die Farben nicht mehr los. Und trägt sie dann, für alle gut sichtbar, am Körper. Dieses Verliebtsein als zweite Haut.

Die Liebe zum Verein ist wild und geil und oft genug kaum zu ertragen. Sie macht blind. Und manchmal auch dumm. Sie macht aus erwachsenen Männern wieder Jungen, die auf Kurven starren. Sie zwingt uns hinein, sie hält uns an der kurzen Leine. Und wenn wir uns losreißen, dem Ganzen den Rücken kehren wollen, zieht sie nur stärker an uns. 

Jeder Fan, der schon mal im Stadion saß, nach dem letzten Pfiff am letzten Spieltag, die Tabelle noch auf der Anzeigetafel, jede Hoffnung und alle Rechenspiele verloren, kennt dieses Gefühl der Zerrissenheit. Wenn man Schluss machen, sich nun wirklich trennen möchte. Und doch genau weiß, dass man wieder kommen wird.

Weil nach dem Spiel, dämliche Binse, tatsächlich vor dem Spiel ist. Und weil wir den Männern da unten selbst dann noch eine Chance geben, wenn sie vorher alle Chancen verstolpert haben. Dabei von der Hoffnung getrieben, dass sie am Ende, der Rasen längst kaputtgetreten, noch eine Rose für uns übrighaben.

So stehen wir am nächsten Samstag wieder dort, neben den anderen Liebhabern, den Gehörnten und den seltsam Beflügelten, die natürlich nicht nach Hause gehen. 40.000, im Regen stehen gelassen. Echte Liebe, wir haben gelernt, dass das Leiden dazu gehört. Die späten Gegentore, die langen Abstiege. Dann fahren wir gemeinsam nach Braunschweig. Regionalzug, beschlagene Scheiben. Erinnern uns an Mailand, an Porto oder Istanbul. An die frühen Jahre, wie jung wir doch waren. Wie lang das schon geht.

Nächster Halt: Spandau. Dahinter gleich die olympischen Ringe, das Marathontor.

Normalerweise wären wir im Stadion heute, würden wieder gemeinsam singen. Und hoffen, dass es diesmal besser ausgeht. Für uns beide. Sehnsucht in jeder Sehne.

Der nächste Sieg doch immer die schönste Versöhnung.

Meine erste Liebe heißt Rune, sie heißt Zecke und Pal.

Ich habe sie seit Monaten nicht gesehen.

Ich vermisse sie sehr.

 

Autor: Lucas Vogelsang

Weitere Artikel

Sehnsucht nach dem Gästeblock

Fans sind derzeit außen vor im Stadion. Verständlich, aber sehr schade. Anstatt Trübsal zu blasen, schwelge ich halt in Erinnerungen.

Der schönste Sommer

Public Viewing, Fähnchen an den Autos, ein neues Maß an Begeisterung für die Nationalmannschaft: Das „Sommermärchen“ 2006 hat verändert, wie die Deutschen zum Fußball stehen. Ein Interview mit dem Kulturwissenschaftler Timm Beichelt über eine besondere Zeit und wie sie bis heute nachwirkt.

Wie ich mit Freunden ein Fußballfest feiere

Wenn ich das Bundesligageschehen derzeit schon nicht im Stadion oder am Stammtisch erleben kann, muss ich eben erfinderisch sein. Und ich habe eine spitzenmäßige Idee …

Ein Fußballspiel, viel länger als 90 Minuten

Als das DFB-Team in der EM-Qualifikation 2019 auf die Niederlande trifft, ist für Bas Timmers klar: Er muss dabei sein. Denn hier spielt seine Heimat gegen das Land, in dem er seit sieben Jahren lebt. Über ein Spiel mit Geschichte und eine Elf mit Zukunft.