Spieler von Lupo Martini feiern ein Tor

Lupo hat’s erfunden

Lupo hat’s erfunden

1962 gründeten junge Italiener in Wolfsburg Deutschlands ersten Gastarbeiterverein. Aus Lupo Martini wurde ein beispielloses Erfolgsprojekt, für kontinuierliche sportliche Entwicklung und gelungene Integration.

Deutschland Anfang der 60er-Jahre. Die Wirtschaft läuft wieder auf Hochtouren, nur die Arbeitskräfte sind knapp. Große deutsche Unternehmen wie Volkswagen suchen händeringend nach fähigen Arbeitskräften. Sie finden sie unter anderem in den Dörfern Mittel- und Süditaliens. Am 17. Januar 1962 kommen die ersten rund 100 italienischen Gastarbeiter am Wolfsburger Bahnhof an. Tausende werden ihnen folgen. Eine Bronzestatue, die einen Italiener mit Koffer zeigt, erinnert noch heute an ihre Ankunft.

Schon Ende 1962 arbeiten 3.188 junge Italiener im Werk, untergebracht sind sie in Holzhäusern an der Berliner Brücke. Vier Mann pro Zimmer, Toiletten auf dem Gang, Volkswagen engagiert Betreuer, bietet Sprachkurse an. „Aber wir Italiener waren eben die Fremden, der deutschen Sprache kaum mächtig. Die Integration war anfangs schwierig“, sagt Luciano Mileo, bei Volkswagen als Technischer Fachreferent in der Aggregateentwicklung tätig und in der Freizeit Finanzvorstand beim Fußballverein Lupo Martini Wolfsburg. „Viele sind gekommen mit dem Gedanken: Ich mache ich bisschen Geld und gehe dann wieder zurück.“ Andere wie Lucianos Vater sind geblieben.

In den Früh- und Spätschichten stehen die Gastarbeiter am Band und helfen dabei, den Käfer zum Symbol des deutschen Wirtschaftswunders zu machen. Nur, wie beschäftigt man Tausende junge Männer in der Freizeit? Die Antwort liegt auf der Hand: Ein Fußballverein muss her. Die Italiener heben mithilfe der Sozialabteilung der Volkswagen AG und des Fußballkreises den Italienischen Sportclub Lupo, kurz ISC, aus der Taufe. Der erste Gastarbeiterverein in Deutschland. Es ist der Beginn einer langen, nicht nur sportlichen Erfolgsgeschichte.

Historisches Mannschaftsfoto von Lupo Martini
Unverwechselbar: Die Lupo-Mannschaft trug in den Anfangsjahren Trikots mit auffälligem Schriftzug.

Vierstellige Besucherzahlen am Ascheplatz

Erst gibt es nur Testspiele. Als Lupo am Spielbetrieb teilnehmen darf, wird der Verein gleich zwei Ligen über der untersten Spielklasse einsortiert – die anderen Mannschaften sollen nicht überrollt werden. Trotzdem holen die Italiener einen Sieg nach dem anderen. Auf dem Ascheplatz im „Italienerdorf“ unweit der vier Schornsteine des Volkswagen Werks stehen bei Heimspielen mehr als 1.000 italienische Zuschauer am Spielfeldrand.

Bevor die Spiele überhaupt angepfiffen werden können, müssen sich Spieler, Betreuer und Trainer erst mal durch eine große Menschenmenge zum Spielfeld drängeln. „Wenn die gegnerischen Mannschaften bei uns antreten mussten, sind die schon umgezogen gekommen und auch schnell wieder abgereist nach dem Spiel“, erzählt Luciano schmunzelnd. Kein Wunder: Die fußballverrückten Zuschauer peitschen ihr Team nach vorn – und bisweilen überdrehten die Spieler ein wenig. Im ersten Jahr wird Lupo Meister, trotz 15 Punkten Abzugs wegen Schiedsrichterbeleidigungen. Auch die Auswärtsspiele sind fest in Lupo-Hand. Zu jeder Partie bringen mehrere Reisebusse die zahlreichen fußballverrückten Tifosi ins Wolfsburger Umland.

Bis zu 7.500 Italiener arbeiten in Spitzenzeiten in Wolfsburg. Die Stadt gilt zeitweise als größte italienische Gemeinde nördlich der Alpen. Wenig verwunderlich also, dass 1970 mit US Martini Wolfsburg ein zweiter italienischer Verein gegründet wird. 1981 fusionieren beide zu Lupo Martini Wolfsburg. Auch das berühmt-berüchtigte „Italienerdorf“ verschwindet. Viele italienische Männer holen ihre Familien nach und ziehen in andere Unterkünfte. Auch bei Lupo Martini geht es inzwischen anders zu. Die gegnerischen Mannschaften reisen nach den Spielen nicht fluchtartig ab, sondern werden ins Centro Italiano eingeladen. Im italienischen Kulturzentrum feiern sie bei Pizza, Pasta und gutem Wein.

Aufstieg bis in die Regionalliga

In den 90er- und 2000er-Jahren geht es trotz einiger Schwankungen auch sportlich in immer neue Sphären. Der Ascheplatz an der Berliner Brücke ist längst Geschichte, heute steht dort die Volkswagen Arena von Bundesligist VfL Wolfsburg. Aber auch Lupo Martini bekommt mit dem Lupo Stadio in der Nordstadt eine neue Spielstätte. Dort feiert der Verein seine beiden sportlichen Höhepunkte: die Aufstiege in die viertklassige Regionalliga 2016 und 2018. Plötzlich spielt der Gastarbeiterverein gegen Clubs mit profiähnlichen Strukturen – und steigt wieder ab. Aktuell spielt Lupo in der Oberliga. „Auch das ist schon sehr gut für uns“, sagt Luciano. Noch mal aufsteigen? „Wir nehmen es, wie es kommt.“ Er macht Erfolg ohnehin nicht an Tabellenplätzen oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Liga fest. Lupo ist das Symbol für die gelungene Integration in Wolfsburg. Rassismus? – „Nullkommanull“, sagt Luciano. „Ich wüsste keinen anderen Ort, an dem Integration so gut funktioniert wie hier.“ Und das italienische Flair? „Hat Wolfsburg immer noch, aber nicht mehr so wie vor 20 oder 30 Jahren.“