Stahlbad Relegation: Sensation oder Endstation?
Die Relegation ist nichts für schwache Nerven. Für die Beteiligten ist sie so bedeutend wie ein Champions-League-Finale. Mein Lieblingsteam ist beteiligt und ich bin hochgradig nervös.
Aus, aus, aus – die Saison ist aus! Einige liegen sich nach dem Schlusspfiff am 34. Spieltag glücklich in den Armen, anderen kullern Tränen über die Wangen. Das Hoffen und Bangen, das Rechnen und Prognostizieren, all das ist nun Vergangenheit. Die Meisterfrage, das Rennen um die lukrativen Champions-League-Plätze, der Trostpreis Europa League und natürlich: der Abstieg. Alles geklärt, alles entschieden. Moment mal, nicht ganz.
Es gibt welche, die müssen nachsitzen, ehe die Sommerferien beginnen. Die Teilnehmer der Relegationsspiele, die müssen noch mal ran. Zwei Spiele, in denen es um die Fußballwurst geht. Erste Sahne bleiben oder zweite Geige spielen. Mein Lieblingsverein aus der Hansestadt ist dabei. Für ihn ist die Relegation der letzte Strohhalm. Ich hoffe, die Grün-Weißen ergreifen ihn und nehmen einen kräftigen Schluck aus der Nichtabstiegspulle.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Die Relegation bringt ganz neuen Drive in mein Leben, sie eröffnet unbekannte Schattenseiten des Fanseins. Seit 1993 begeistere ich mich für Fußball und seit jeher schwärme ich für das Team vom Osterdeich. Es waren meistens gute Zeiten, verdammt gute Zeiten. Meisterschaften, Pokalsiege, Europapokalwunder und -titel. Abstiegssorgen? Die waren so unwahrscheinlich wie eine Männerfreundschaft zwischen den Managern meines Klubs und des großen Rivalen aus dem Süden. Die Rede ist von einem norddeutschen Politiker und einem fränkischen Wurstfabrikanten.
Vieles hat sich seither verändert. Die Spieler, die Manager, die Stadionnamen und die Tabellensituation. Der diesjährige, für mich so neue Abstiegskampf war so nervenaufreibend wie fünf Last-Minute-Qualifikationen für die Europa League. Mein Lieblingsteam ist okay gestartet, dann ging es stetig bergab. Die vergangenen Wochen bestanden ausschließlich aus Hoffen und Bangen und Zittern und Beten.
Die Mannen von der Weser robbten sich am letzten Spieltag gerade so auf Tabellenplatz 16. Früher hieß das: Abstieg, Tschüssikowski! Zum Glück gibt es seit der Saison 2008/09 wieder die Relegationsspiele. Nun hat mein Team noch eine Chance auf den Klassenerhalt. Schon in den Jahren 1982 bis 1991 gab es diese alles entscheidenden Relegationsspiele. Siebenmal gewann ein Erstligist, dreimal der Underdog. Seit der Wiedereinführung ist die Quote ähnlich: acht zu drei für die Favoriten aus der Bundesliga. Durchaus ein Mutmacher für die beiden kommenden Partien.
Siegen oder Fliegen
Als Teenager kannte ich die Relegation nur vom Bundesliga-Manager auf meinem PC, nun erlebe ich sie zum ersten Mal aus nächster Fan-Nähe. Ich fiebere dem Anpfiff entgegen, als wäre es das Champions-League-Finale. Nicht bloß, weil das Motto „Siegen oder Fliegen“ lautet. Auch, weil die Relegation den Charme von David gegen Goliath hat. Unbekümmerter Herausforderer gegen taumelnden Riesen. In zwei Spielen kann eine verkorkste Saison gerettet werden – oder mit einem Albtraum zu Ende gehen.
Kein Wunder also, dass es in der Relegation heiß hergeht. Manchmal auch zu heiß, so wie 2012 beim Rückspiel zwischen Düsseldorf und Berlin. Ein in rotes, rauchiges Licht getränktes Spielfeld wird von Fans gestürmt. Erst nach langer Unterbrechung kamen die Mannschaften zurück auf den Platz und spielten die restlichen zwei Minuten von der Uhr. Ein eher unrühmlicher Eintrag in die Bundesliga-Annalen, der sich hoffentlich nicht wiederholt. Schon mal gar nicht, wenn meine Mannschaft nun spielt und kämpft und ackert. Für den Klassenerhalt.
Wir werden Teams erleben, die sich mit allem, was ihnen zur Verfügung steht, gegen eine Pleite wehren. Wir werden himmelhochjauchzende Sieger und niedergeschlagene Verlierer sehen. Mir steht der spannendste Thriller meines Lebens bevor, hoffentlich mit einem Happy End.